So habe ich Leute über biblische Seelsorge reden hören. Eigentlich würde ich über diesen Kommentar gar nicht weiter nachdenken, gäbe es da nicht zwei Dinge. Erstens wollen sie uns damit nicht anerkennend auf die Schulter klopfen; das verrät das Wort „einfach“. Würden sie sagen: „Sie verwenden die Bibel", würde ich mich ermutigt fühlen und es dabei belassen, aber das will man damit nicht aussagen. Und zweitens führt uns diese Frage zu der grösseren Frage nach der Reichweite der Schrift. Genügt die Heilige Schrift? Und wenn ja, was bedeutet das?
Beispiele sind manchmal hilfreich. Da meine Frau und ich gerade unseren neununddreissigsten Hochzeitstag gefeiert haben, werde ich die Ehe bzw. das Wachstum einer wichtigen Beziehung als Beispiel nehmen, um dadurch unser Nachdenken über die Genügsamkeit der Schrift herauszufordern. War also die Schrift genug, um meine Ehe gedeihen zu lassen? Am Tag meiner Hochzeit hatte mir die Heilige Schrift eine Menge zu sagen. ("Eine Menge" bringt uns in den Bereich der „Genügsamkeit“.) Wie so mancher Bräutigam wusste ich nicht, was ich tat, aber etwas wusste ich: Liebe war das Gebot der Stunde! Gottes Wort sagte mir, dass Sheri mir gehörte und ich ihr. Kein Gedanke mehr an andere Frauen! Ich sollte so leben, als ob alle Gespräche mit anderen Frauen direkt an meine Frau übertragen würden. Das waren tatsächlich gute Grenzen!
Aber ein paar Tage später schien die Schrift doch nicht genug zu sein. Wir waren voneinander enttäuscht – keine Ahnung, weswegen - und ich fühlte mich festgefahren. Der Geist und das Wort schienen unergiebig. Aber irgendwann leuchtete mir ein kleines Lichtlein auf. Nur ein Funke. Ich hätte es damals kaum beschreiben können, aber es stellte sich heraus, dass es Demut hiess. Ich hatte schon mal davon gehört. Ich ging davon aus, dass ich reichlich davon besass und dass Sheri etwas mehr gebrauchen könnte. Es stellte sich heraus, dass Demut ein verlässlicher Führer ist, der auch mir nützlich war. Die Heilige Schrift genügte doch zu mehr, als ich dachte.
„Demut“ sagt fast alles aus, was man über die Ehe wissen muss. Sie ist auf sehr reale Weise ausreichend. Demut ist darauf ausgerichtet, sich zu unterordnen, statt zu erhöhen. Bevor sie andere verurteilt, prüft sie sich lieber selbst. Sie hört zu und ist bereit, sich belehren zu lassen. Was mich betrifft, so hat die Ehe mir offenbart, dass meine selbstsüchtigen Wünsche sehr viel mehr im Vordergrund standen, als ich angenommen hatte. Demut hat mich gelehrt, um Vergebung zu bitten: "Ich habe mich so falsch verhalten. Wirst du mir verzeihen?" Die Grundlage dafür ist "Christus, der Gekreuzigte" (1. Korinther 2,2). Christus überführt uns, vergibt uns und befreit uns dazu, in Demut vor anderen zu wandeln.
Und der Geist und das Wort stellten mir auf diesem Weg Hilfen zur Verfügung. Ich ging in die Gemeinde, hörte gute Predigten, bat andere Männer, für mich zu beten, nahm das Abendmahl, studierte die Bibel mit einer Kleingruppe, beobachtete Hunderte von Ehen und lernte von jeder etwas, las Dutzende von Büchern über die Ehe, beobachtete, wie meine Frau in Christus reifte und nahm einige Dinge aus Fernsehen und Filmen auf. Durch all das bin ich allmählich gewachsen. Heute bitte ich gewöhnlich schneller um Vergebung bemüht, ich selbst empfinde meine Sünde schwerer als Sheri das Gewicht meiner Sünde empfindet, und tatsächlich habe ich Gefallen an diesem Prozess. Ich hoffe, der Diener meiner Frau zu sein, so wie Jesus Christus mir gedient hat. Diese Vorstellung von Liebe steht jetzt im Vordergrund, auch wenn wir nebenbei weiterhin Freunde, Liebhaber und Partner für die schönen Dinge des Lebens sind.
Wie beantwortet das jetzt die Frage, ob die Heilige Schrift für die seelsorgerliche Beratung ausreicht? Genügsamkeit bedeutet nicht, dass die Heilige Schrift für jede denkbare Gelegenheit eine Anleitung bietet. Das würde meiner Abhängigkeit von Christus entgegenstehen und mich im Kern einer endlosen Reihe von detaillierten Gesetzen unterwerfen. Es bedeutet auch nicht, dass ich meine Nase nur noch in die Heilige Schrift stecke und keine Hilfe von irgendwo anders bekomme. Stattdessen möchte ich jemand sein, der sich immer zu lernen bemüht, der überall nach Ideen und Hilfe Ausschau hält. Mit den Ideen, die wahre Demut und Liebe veranschaulichen und den Ideen, die zu meiner Ehe passen, beschäftige ich mich dann intensiver. Die Schrift zeigt mir, wie die Dinge auf Gottes Art funktionieren und wie man in seinem Reich lebt. Ich habe versucht, diese Lebensart des Reiches Gottes in mich aufzunehmen. Dann improvisiere ich, lasse mir helfen und versuche, den Lebensstil des Haushalts Gottes kreativ auf meinen eigenen zu übertragen.
Ist also die Schrift ausreichend, um mich darin zu leiten, wie man im Einzelnen richtig lebt, in der Ehe wächst und weisen seelsorgerlichen Rat gibt? Mein Zugang zu dieser Frage war das besondere Beispiel der Ehe. Wenn der Ausgangspunkt die Erfahrung eines Freundes mit Schizophrenie wäre, würde ich erwarten, dass die Schrift mich auf andere Weise leitet. Aber hier kommt die Kurzantwort auf diese Frage: Die Heilige Schrift gibt mir in Jesus Christus alles, was zum Leben und zum Wandel in Gottesfurcht dient (2. Petrus 1,3).
Sie konfrontiert und tröstet mich, beides gleichzeitig. Um weiter im Glauben zu wachsen, der durch die Liebe wirksam ist (Galater 5,6), leitet mich die Schrift selbst an, mich mit den Menschen zu beschäftigen, sorgfältig zu beobachten und sogar die Schöpfung zu studieren. Manchmal, wenn ich all das getan hatte und doch nicht weiterkam, habe ich gehofft, dass die Schrift mir ihre Genügsamkeit durch grossartige Einsichten beweisen würde, um die vorliegenden Rätsel zu entschlüsseln. Tatsächlich hat die Schrift mir klar eine Richtung gewiesen, aber nicht so, wie ich das erwartet hatte. Meist hat sie mich zu jener Lebensader der Demut zurückgeführt und damit verbunden zu der tieferen Einsicht: Festgefahren zu sein ist eine gute Position.
Wann sonst sollte ich um Hilfe und Weisheit flehen?
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Vollständig übersetzt mit Erlaubnis der Christian Counseling & Educational Fundation (CCEF) von Ruth Metzger für glaubend.de in Königsfeld, Deutschland. Die völlige Verantwortung für die Übersetzung liegt beim Übersetzer.