Unsere scharfen Zungen (und Finger)

Jon Bloom

Was Worte über uns offenbaren.

In einer sehr angespannten Diskussion mit den Pharisäern äusserte Jesus einige der wichtigsten Worte, die jemals über die Bedeutsamkeit unserer Worte gesagt wurden: "Denn aus der Fülle des Herzens redet der Mund. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz Gutes hervor, und der böse Mensch bringt aus dem bösen Schatz Böses hervor. Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts; denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden."  Matthäus 12,34-37

 

Was für ein beunruhigender Gedanke. Die Worte, die wir sprechen (und schreiben!), offenbaren, ob wir es glauben oder nicht, was unseren Herzen wirklich wichtig ist. Und eines Tages, wenn wir „vor dem Richterstuhl Christi [stehen], damit jeder empfängt, was er durch den Leib vollbracht, dementsprechend, was er getan hat, es sei Gutes oder Böses.“ (2. Korinther 5,10), werden unsere eigenen Worte – auch die unbedachten – als Zeugen vorgebracht werden.

Was Worte offenbaren.

Was meinte Jesus, als er sagte, dass wir aus der „Fülle unseres Herzens“ reden (Matthäus 12,34)? Diese Frage lässt sich am besten beantworten, wenn man sich den Kontext ansieht. Jesus hatte gerade einen besessenen Mann von der Besessenheit befreit. Und die Menge, die Zeuge dieses Wunders wurde, konnte nicht anders als zu fragen, ob Jesus der lang ersehnte Messias, der Sohn Davids, sei. Die Pharisäer, die alles taten, um solche Überlegungen auszuräumen, hatten eine Antwort parat: „Dieser treibt die Dämonen nicht anders aus als durch Beelzebul, den Obersten der Dämonen.“ (Matthäus 12,24). Jesus antwortete mit einer seiner schärfsten Zurechtweisungen, mit der er die eklatante Heuchelei in der Anschuldigung der Pharisäer entlarvte und sie vor der schrecklichen Gefahr warnte, den Heiligen Geist zu lästern (Matthäus 12,31-32). Und dann erklärte er, was Worte offenbaren.

 

Jesus wandte die Worte der Pharisäer auf sie selbst an und deckte die böse Macht auf, die sie antrieb – das Böse in ihren eigenen Herzen. Sie hatten ihre Worte sorgfältig und bewusst gewählt, um ein von ihnen angestrebtes Ziel zu erreichen: Die öffentliche Meinung gegen Jesus zu lenken, indem sie durch diese unbegründete Anschuldigung eine Saat des Misstrauens in den Köpfen der Menschen säten. Dabei bezeichneten sie absichtlich die „gute Frucht“, die Jesus durch die Befreiung eines Mannes von seiner Besessenheit hervorbrachte als böse, während sie die „schlechte Frucht“ nicht erkannten, die sie hervorbrachten, indem sie unehrliche Mittel einsetzten, um Jesus in Verruf zu bringen (Matthäus 12,33).

 

Die Pharisäer waren so von ihrem eigenen bösen Bestreben geblendet, dass sie die geistliche Gefahr, in der sie sich befanden, nicht erkannten. Sie bemerkten nicht den dämonischen Einfluss, der sie dazu bewegte, die Kraft des Heiligen Geistes als dämonisch zu bezeichnen. Sie sprachen Worte aus der Fülle ihres bösen Herzens.

Auch unbedachte Worte.

An dieser Stelle hätte wahrscheinlich jeder, der zuhörte, gern etwas Abstand von den Pharisäern genommen, nur für den Fall, falls ein Blitz einschlüge. Doch dann weitet sich Jesu Warnung über Worte plötzlich auf alle aus: „Ich sage euch aber, dass die Menschen von jedem unnützen Wort, das sie reden werden, Rechenschaft geben müssen am Tag des Gerichts; denn aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden.“ Matthäus 12,36-37

 

Die Anschuldigung der Pharisäer gegen Jesus scheint kein Beispiel für unbedachte Worte zu sein. Sie haben ihre Anschuldigung sorgfältig formuliert. Aber Jesus wollte sie – und uns – wissen lassen, dass die Fülle unseres Herzens nicht nur durch unsere vorsichtigen, wohlüberlegten Worte offenbart wird, sondern ebenso von den unbedachten. Das bringt die Sache auf eine ganz andere Ebene.

 

„Unbedacht“ ist eine gute Übersetzung für das griechische Wort argon. Unbedachte Worte können leichtfertige, leere, beiläufige Worte sein. Das können Worte sein, die wir von uns lassen, wenn wir unsere Geduld verlieren oder Worte, die wir nutzen, um uns über Dinge auszulassen über die wir nicht viel nachgedacht haben. Es können wütende, grobe, beleidigende Worte sein, die wir über etwas sagen, das uns sehr am Herzen liegt – sei es öffentlich oder privat. Und auch wenn es viel seltener vorkommt, können unbedachte Worte aber auch geduldig, freundlich, wertschätzend, friedvoll und demütig sein.

 

Jesus will damit sagen, dass alle unsere Worte von Bedeutung sind. Sie alle werden als Zeugen für oder gegen uns aufgerufen werden. Was wir sagen, ist so sehr mit unserem Herzen verbunden, dass selbst unsere unbedachten Worte Auskunft geben. Und was unbedachte Worte oft verräterisch macht, ist, dass wir sie sprechen, wenn wir unaufmerksam sind.

Eine schmerzhafte Parabel.

Ein Beispiel für die verräterische Kraft von unbedachten Worten spielte sich kürzlich in den Medien ab, als Jon Grudens bemerkenswerte und lukrative Karriere in der National Football League plötzlich aus den Fugen geriet. Im Oktober 2021 veröffentlichten zwei namhafte Zeitungen Berichte bezüglich zahlreichen E-Mails, die Gruden in der Zeit zwischen 2010 und 2018 schrieb bevor er Cheftrainer der Las Vegas Raiders wurde. Dies waren Worte, von denen er offensichtlich (und fälschlicherweise) annahm, dass sie privat bleiben würden. Wie eine Nachrichtenseite zusammenfasste, enthüllten die E-Mails ein "Muster von homophoben, frauenfeindlichen und sexistischen Beleidigungen sowie Bilder von oberkörperfreien Cheerleadern des Washington Football Teams". Der 11. Oktober wurde für Gruden zu einem Tag des öffentlichen Gerichts, an dem er durch seine eigenen „dummen und unvorsichtigen“ Worte, wie es ein Sportjournalist ausdrückte, aufs Schärfste verurteilt wurde. Infolgedessen trat er als Cheftrainer der Raiders zurück. 

 

Das veranschaulicht ein wenig, was Jesus meinte, als er sagte: „Deswegen wird alles was ihr in der Finsternis gesprochen haben werdet, im Licht gehört werden, und was ihr ins Ohr gesprochen haben werdet in den Kammern, wird auf den Dächern ausgerufen werden.“ Lukas 12,3

 

Jeder, der sich vor dem US-Gericht verantworten muss, wird gewarnt: „Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden.“ Jesus warnt uns, dass alles, was wir sagen, für oder gegen uns verwendet wird, wenn wir vor seinem Richterstuhl stehen. In Anbetracht all dessen, was wir im Dunkeln gesagt und im stillen Kämmerlein geflüstert haben, all der dummen und unbedachten Worte, die wir gesprochen haben und die als Belastungszeugen gegen uns dienen könnten, ist es am klügsten, wenn wir „uns schnell mit unserem Widersacher versöhnen", bevor wir vor Gericht kommen (Matthäus 5,25) und mit dem Psalmist beten: „Wenn du, HERR, die Sünden anrechnest, HERR, wer wird bestehen? Doch bei dir ist die Vergebung, damit man dich fürchte." Psalm 130, 3-4. Denn unser Richter ist sowohl „gerecht […] und rechtfertigt [den], der des Glaubens an Jesus ist (Römer 3,26).

Zügle deine Zunge (und deine Finger).

Ein Teil der Busse – eigentlich der Beweis dafür, dass die Busse echt ist – ist das aktive Streben nach Veränderung in der Kraft des Heiligen Geistes. Und in Bezug auf all unsere Worte, und vielleicht besonders unsere unbedachten, bedeutet Busse, unsere Zungen in Zaum zu halten, was heutzutage natürlich unsere Finger und Daumen miteinschliesst. 

 

Ich benutze diese Metapher von dem Apostel Jakobus, der in seiner eindringlichen Warnung vor der Zunge drei hilfreiche Analogien verwendet: (1) ein Pferdezaumzeug, (2) ein Schiffsruder und (3) eine Flamme (Jakobus 3,1-6). Diese drei, wie auch die Zunge und die Finger, sind klein, haben aber eine grosse Kraft. Die ersten zwei veranschaulichen Kontrollmassnahmen, die gute Resultate erzielen: Ein kleines Zaumzeug zügelt ein kräftiges Pferd und ein kleines Ruder steuert ein mächtiges Schiff. Aber das dritte Bild veranschaulicht wie fehlende Kontrolle – nennen wir es Unachtsamkeit – grosse Zerstörung anrichten kann: Eine kleine Flamme setzt einen ganzen Wald in Brand.

 

Die Botschaft ist klar: Kontrollierte Worte können viel Gutes bewirken. Sie können für andere „ein Baum des Lebens“ sein (Sprüche 15,4) und „den Hörenden Gnade [geben]“ (Epheser 4,29). Aber unkontrollierte, törichte Worte können Freundschaften, Familien, Gemeinden und Karrieren in Schutt und Asche legen (Jakobus 3,9-10). Die Frage lautet: Welches Zaumzeug legen wir unseren Worten an, um sie zum Guten zu lenken?

Die 24-Stunden-Regel.

Lassen Sie mich nun eine persönliche Regel nennen, die ich mir angewöhnt habe: Die 24-Stunden-Regel. Bevor ich jemandem antworte, dessen Worte in mir Wut, Frustration oder Abwehrhaltung hervorrufen, warte ich mindestens einen Tag. Ich habe festgestellt, dass die meisten Situationen keine sofortige Antwort erfordern, selbst wenn jemand eine will. Und fast immer, nach 24 Stunden, haben sich die Emotionen, die meine hitzige Antwort am ehesten entfachen würden, verflüchtigt, und ich bin in der Lage, mit massvolleren, liebevolleren Worten zu antworten. Und nicht nur das: Oft sehe ich die Perspektive der Person klarer, als ich es anfangs tat. Diese Regel ist sehr hilfreich für die Fingerrede, aber sie funktioniert auch mit der Zunge. Ich weiss, dass ich als Ehemann und Vater, wenn ich diese Regel anwende, immer ein konstruktiveres Ergebnis erziele.

 

Jeder von uns muss das Zaumzeug finden, das für ihn am effektivsten ist, und es ist wichtig, dass wir das tun. Diejenigen, die bereit sind, das wilde Pferd unserer Worte um Jesu willen zu zügeln, zeigen damit ihre Liebe zu ihm (Johannes 14,15) und ihren Wunsch, ihren Nächsten zu lieben wie sich selbst (Matthäus 22,39).

 

Wer seine Zunge und seine Finger nicht im Zaum hält, dessen Worte können und werden am Tag des Gerichts gegen ihn verwendet werden. Ob wir uns die Worte Jesu über unsere Worte zu Herzen nehmen oder nicht, sagt etwas sehr Wichtiges über unsere Herzen aus. 

 Ein Artikel von Jon Bloom mit dem Titel "Our Tongues (and Fingers) of Fire". Übersetzt von Monika Peters. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von DesiringGod.org.